„Ich wohnte damals in der Nachbarschaft, in der Berek-Joselewicz-Straße. Da platzte der Gestapochef Heinrich Hamann mit seinem Gefolge rein, und sie schossen auf die Menschen, die nichtsahnend in ihren Betten lagen. Das war einfach nur ein grausamer Mord. Ich würde gerne ein Gebet für die Toten sprechen, aber wie, jetzt wo ich ganz alleine bin?“ Jakub Müller, Aussage über den Mord im Haus an der Franciszkańska-Straße

Jakub
Müller

Jakub Muller

Schritt 10 - Verleugnung

„Ich wohnte damals in der Nachbarschaft, in der Berek-Joselewicz-Straße. Da platzte der Gestapochef Heinrich Hamann mit seinem Gefolge rein, und sie schossen auf die Menschen, die nichtsahnend in ihren Betten lagen. Das war einfach nur ein grausamer Mord. Ich würde gerne ein Gebet für die Toten sprechen, aber wie, jetzt wo ich ganz alleine bin?“ Jakub Müller, Aussage über den Mord im Haus an der Franciszkańska-Straße

Jakub Müller, geb. am 20.03.1920 in Nowy Sącz

Jakub Müller wurde in einer traditionsverbundenen, religiösen jüdischen Familie geboren, die seit Generationen in Nowy Sącz lebte. Seine Nachbarn waren Chassiden. Er gehörte zu den über 10.000 Juden der Stadt. 1941 wurden Jakub und seine Familie zum Umzug ins Ghetto gezwungen. Angesichts der Grausamkeit der Deutschen beschloss Jakub zu fliehen. Er überlebte den Krieg, indem er sich an verschiedenen Orten in den Dörfern Jelna und Sienna versteckte. Nach dem Krieg fand er keinen einzigen seiner über 100 Angehörigen wieder.

Jakub blieb in Nowy Sącz und wurde zum Wächter der Erinnerung an die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt. Er war streng gläubig und verfolgte unermüdlich seine Mission. Er pflegte die jüdischen Denkmäler, suchte nach Grabsteinen, die während der Besatzungszeit gestohlen worden waren, und sorgte dafür, dass sie wieder auf dem Friedhof aufgestellt wurden. In seinem täglichen Kampf gegen die Leere und das Vergessen, die der Holocaust hinterlassen sollte, suchte er nach Spuren von Lebenden und Toten. Er widersetzte sich der Ablehnung und dem Vergessen, die die jahrzehntelange kommunistische Herrschaft in Polen verursacht hatte.

Jakub blieb standhaft: Für die einen war er ein „Gewissensbiss“, für die anderen verkörperte er eine Welt, die es nicht mehr gab. In den 1960er Jahren sagte Jakub im Prozess gegen den „Henker von Sącz“, Heinrich Hamann, aus. Dadurch stemmte er sich ein weiteres Mal gegen die Verleugnung des Verbrechens.
Jakub Müller starb am 16. Dezember 2010 in Schweden.

Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec. Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec.
Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec. Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec.
Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec. Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec.
Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec. Autor: Tomasz Cebulski
Das ehemalige Vernichtungslager Bełżec.
Autor: Tomasz Cebulski

Verleugnung

Diese Phase tritt nach jedem Völkermord ein. Die Täter*innen verwischen ihre Spuren, lassen Beweise verschwinden und schüchtern Zeug*innen ein. Sie leugnen all ihre Verbrechen und beschuldigen oft die Opfer für das, was passiert ist. Sie behindern Ermittlungen und versuchen, sich so lange an der Macht zu halten, bis sie gewaltsam zum Rücktritt oder zur Flucht gezwungen werden. Nur gründliche, ehrliche Gerichtsverfahren und gerechte Strafen können die Straflosigkeit der Täter*innen und die Verleugnung des Verbrechens verhindern.


Was ist der Bezug dieser Geschichte zu den Phasen des Völkermordes?

Jakub Müller blieb nach dem Krieg in Nowy Sącz, um Zeugnis abzulegen und die jüdische Geschichte der Stadt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Er bettete die Opfer auf den jüdischen Friedhof um, erwies ihnen die letzte Ehre und schützte jüdische Denkmäler vor der Zerstörung durch die kommunistischen Behörden. Er verkündete die Wahrheit und sagte in Prozessen gegen die Kriegsverbrecher aus. Wegen des steigenden Antisemitismus verließen die meisten Überlebenden Nowy Sącz, doch Jakub blieb. Er nahm die Rolle des Wächters und Pflegers der Erinnerung an. So sorgte er dafür, dass das Verbrechen nicht geleugnet und die jüdische Geschichte der Stadt nicht ausgelöscht wurde.

Der Chassidismus (von hebr. chasid – fromm) ist eine religiöse Bewegung, die im 18. Jahrhundert entstand, um den Glauben im Judaismus zu erneuern. Gründer des Chassidismus war Baal Schem Tov aus Medschybisch. Die Bewegung sollte eine Alternative zum orthodoxen Judaismus bieten, der als zu starr und veraltet empfunden wurde. Sie kombinierte Elemente des Mystizismus, der volkstümlichen slawischen Kultur und der jüdischen Traditionen des damaligen Polen. Der Chassidismus basiert auf Werten wie Freude, Brüderlichkeit, Liebe und ein individueller Bezug zu Gott. Heutzutage befinden sich die größten Zentren der Bewegung in Israel und in den USA.