Krystyna Gil, geborene Ciuroń, wurde am 5. November 1938 in Szczurowa geboren. Vor dem Krieg lebten dort polnische, jüdische und Roma-Familien alle friedlich zusammen. Krystyna war Romni...

Krystyna
Gil

Schritt 10 - Verleugnung

Krystyna Gil, geborene Ciuroń, wurde am 5. November 1938 in Szczurowa geboren. Vor dem Krieg lebten dort polnische, jüdische und Roma-Familien alle friedlich zusammen. Krystyna war Romni...

Krystyna Gil

Krystyna Gil, geborene Ciuroń, wurde am 5. November 1938 in Szczurowa geboren. Vor dem Krieg lebten dort polnische, jüdische und Roma-Familien alle friedlich zusammen. Krystyna war Romni. Ihr Großvater hatte ein eigenes Orchester, das bei wichtigen Feierlichkeiten in Szczurowa und den benachbarten Dörfern spielte. Die Roma-Männer stellten Pfannen, Kessel, Töpfe und andere Gebrauchsgegenstände aus Metall her und die Frauen verkauften sie. Krystyna erinnerte sich, dass die älteren Kinder in der Landwirtschaft mithalfen und Tiere weideten, die jüngeren hingegen sorglos zusammen spielten. So war es, bis der Krieg ausbrach.

Am 3. Juli 1943 umstellten die Nazis die Roma-Siedlung in Szczurowa und forderten alle Roma auf, ihre Häuser zu verlassen und sich auf dem Dorfplatz aufzustellen. Krystynas Opa weigerte sich und wurde in seinem eigenen Haus erschossen. Die übrigen Roma wurden mit Pferdewagen zum örtlichen Friedhof gefahren. Die Frauen, Kinder und älteren Menschen, die auf dem Dorfplatz geblieben waren, hörten Schüsse und Schreie. Als die übrigen Roma abgeholt werden sollten, stellte sich heraus, dass nicht alle auf die Pferdewagen passten. Krystynas Oma und einige weitere Roma blieben auf dem Platz zurück. Mitten in dem chaotischen Treiben schob Krystynas Mutter sie runter vom Wagen und übergab sie der Oma mit den Worten: „Wenn du überlebst, hast du wenigstens noch sie.“ Krystynas Mutter, ihr 10-jähriger Bruder, ihre 2-jährige Schwester und alle anderen Angehörigen wurden zum Friedhof gefahren und dort ermordet. An dem Tag wurden dort insgesamt 93 Roma und Romni erschossen. Leiter der Aktion war der deutsche Gendarm Engelbert Guzdek.

Krystyna und ihre Oma entgingen wie durch ein Wunder dem Tod. Sie konnten fliehen, als die Gendarmen, die sie zum Friedhof bringen sollten, eine Pause im örtlichen Restaurant einlegten.

Krystyna tauchte zusammen mit ihrer Oma unter, die keine Romni war, daher war es einfacher, die Herkunft des Mädchens zu verschleiern. Sie versteckten sich an vielen verschiedenen Orten, doch im Januar 1944 wurden sie bei einer Razzia aufgegriffen und als zufällige Opfer ins KL Płaszów in Krakau deportiert. Dort verbrachten sie 4 Monate, konnten aber mit der Hilfe eines Besatzungsmitglieds fliehen und versteckten sich bis zur Befreiung. Im Mai 1945 kehrten sie zurück nach Szczurowa. Krystyna schloss eine Berufsschule ab, zog in das Krakauer Viertel Nowa Huta und gründete eine Familie. Sie war die erste Romni, die in Krakau als Straßenbahnfahrerin arbeitete. Sie setzte sich aktiv für die Rechte der polnischen Roma ein, insbesondere der Kinder. Im Jahre 2000 gründete sie den Verein der Romni in Polen und war viele Jahre lang dessen Vorsitzende. Krystyna Gil kämpfte zudem darum, das Gedenken an das Massaker in Szczurowa zu erhalten und dessen Opfer zu würdigen. In den 1960er Jahren stellten die Anwohner neben dem Massengrab der ermordeten Roma einen Stein mit einer Inschrift auf, die an die Opfer erinnert. Auf Anregung von Krystyna Gil, die von Lee-Elizabeth Hölscher-Langner (der Ehefrau des ersten Generalkonsuls der Bundesrepublik Deutschland in Krakau) unterstützt wurde, wurde im Jahre 2014 neben dem Grab auch eine Tafel mit den Namen aller 93 Opfer aufgestellt.

2020 wurde Krystyna vom Bundespräsidenten mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Krystyna traf sich oft mit Jugendlichen und erzählte ihnen die Geschichte ihres Lebens.

Sie starb am 1. April 2021 in Krakau.

VERFASSERIN: Larysa Michalska

Verleugnung

Diese Phase tritt nach jedem Völkermord ein. Die Täter*innen verwischen ihre Spuren, lassen Beweise verschwinden und schüchtern Zeug*innen ein. Sie leugnen all ihre Verbrechen und beschuldigen oft die Opfer für das, was passiert ist. Sie behindern Ermittlungen und versuchen, sich so lange an der Macht zu halten, bis sie gewaltsam zum Rücktritt oder zur Flucht gezwungen werden. Nur gründliche, ehrliche Gerichtsverfahren und gerechte Strafen können die Straflosigkeit der Täter*innen und die Verleugnung des Verbrechens verhindern.


Wie hängt die Geschichte dieser Person mit den Phasen des Völkermordes zusammen?

Nach dem Krieg verbrachte Krystyna Gil den Großteil ihres Lebens damit, sich für das Gedenken an die Vernichtung der Sinti und Roma einzusetzen. Ihre Mission war es, an die Namen der Opfer von Szczurowa zu erinnern und sie festzuhalten, um den Ermordeten wenigstens symbolisch ihre Würde wiederzugeben. Dank dieser Bemühungen können wir die Opfer heute als konkrete Personen mit eigenen Geschichten, Plänen und Träumen wahrnehmen. Viele Jahre lang wurden die Verbrechen an den Sinti und Roma verschwiegen. Auch die Forschung griff dieses Thema nur selten auf. Das änderte sich aber, als sich unter den Roma neue intellektuelle Eliten bildeten und Roma-Organisationen entstanden. Ihre Mitglieder arbeiteten eng mit der Wissenschaft, der Politik, der Bildung und der Kultur zusammen, um die verschwiegene, vergessene, ja oft sogar verleugnete Geschichte ihrer Community wieder in Erinnerung zu rufen. Krystyna Gil kämpfte entschlossen, engagiert und weltoffen um die Erinnerung an und den Respekt für die Roma-Opfer der Nazis. Dadurch stellte sie sich gegen das Vergessen und Verleugnen der Geschichte der Sinti und Roma im Zweiten Weltkrieg.