„so sind sie gut zu mir aber wenn sie erfahren was ich bin werde ich umgebracht… darf niemals sagen wer ich bin“

Hermann
Mano Höllenreiner

Schritt 10 - Verleugnung

„so sind sie gut zu mir aber wenn sie erfahren was ich bin werde ich umgebracht… darf niemals sagen wer ich bin“

Herman Mano Hoellenreiner

Hermann Höllenreiner wurde am 19. Oktober 1933 in Hagen als Sohn einer deutschen Sinti-Familie geboren. Seine Angehörigen gaben ihm den Spitznamen „Mano“. Sein Vater und seine Onkel waren Pferdehändler in München und seine Mutter kümmerte sich um den Haushalt. Die Höllenreiners waren eine Großfamilie. Mano hatte eine kleine Schwester, Lili, und viele Cousins. Die älteren Kinder gingen vor dem Krieg zur Schule.

Nachdem die Nürnberger Gesetze 1935 verabschiedet wurden, führte der deutsche Staat immer mehr Regelungen ein, die Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma diskriminierten und ihnen die Bürgerrechte entzogen. Dennoch schaffte es Manos Familie, verhältnismäßig lange ein ruhiges Leben zu führen. Sein Vater Johann war im Ersten Weltkrieg Soldat der deutschen Armee gewesen und wurde als Veteran respektiert. Trotzdem verheimlichte die Familie aus Sicherheitsgründen ihre wahre Herkunft. Wenn sie gefragt wurden, woher sie kamen, antworteten sie immer, sie seien Ungarn.

Trotzdem wurden der damals 9-jährige Mano, seine Eltern und die kleine Schwester im März 1943 ins KL Auschwitz deportiert. Dort kamen sie in das sogenannte Zigeunerlager in Birkenau. Mano bekam die Häftlingsnummer Z-3526 und wurde gezwungen, Arbeiten zu verrichten, denen er als Kind weder körperlich noch psychisch gewachsen war: Er musste Leichen auf Wagen laden, mit denen sie dann aus dem Lager gebracht wurden.

1944 wurde er nach Ravensbrück verlegt, wo er nur mit viel Glück der Zwangssterilisierung entging. Danach kam er ins KL Sachsenhausen und wurde dort von seinem Vater getrennt. Johann Höllenreiner wurde zu Oskar Dirlewangers SS-Einheit zwangseingezogen und gezwungen, an die Front zurückzugehen. Nun blieben nur die älteren Cousins bei Mano. Zusammen konnten sie von einem Todesmarsch fliehen, aber Mano war so entkräftet, dass er auf dem Rückweg zu Fuß nach München ohnmächtig wurde.

Befreite französische Kriegsgefangene fanden den Jungen und nahmen ihn mit nach Frankreich. Dort wurde Mano wieder gesund, sah sich aber vor eine schwierige Entscheidung gestellt. Einerseits wollte er zurück nach Hause, um seine Angehörigen zu suchen, andererseits hatte er aber Angst, zu sagen, wer er war und woher er kam. Er war nämlich überzeugt, die Franzosen „mögen keine Deutschen“ und dass ihn seine neuen Freunde in ein KZ schicken würden, wenn sie die Wahrheit erfuhren. Er gab also vor, aus Ungarn zu kommen und seine Muttersprache aufgrund des schweren Traumas im Lager verlernt zu haben. Er lebte zwei Jahre lang bei verschiedenen Pflegefamilien in Frankreich, bis ihn die Familie Höllenreiner durch seine eintätowierte Häftlingsnummer wiederfand.

Ende 1946 kehrte Mano zurück nach München zu seiner Schwester, seiner Mutter und seinem Vater – alle vier hatten den Krieg überlebt. Er wurde erwachsen, gründete eine eigene Familie und ließ sich in einem kleinen Dorf in Bayern nieder. Er sprach aber nicht von seinen Erlebnissen, nicht mal mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern. Trotzdem war es seinen Liebsten klar, dass ihn dramatische Erinnerungen plagten; er hatte oft Alpträume, manchmal schrie er im Schlaf. Doch Mano wollte die Vergangenheit hinter sich lassen. Erst im hohen Alter fing er an, sich mit seinem Trauma auseinanderzusetzen und die Geschichte seiner Familie öffentlich zu erzählen.

AUTORKA: Katarzyna Ciurapińska

Verleugnung

Diese Phase tritt nach jedem Völkermord ein. Die Täter*innen verwischen ihre Spuren, lassen Beweise verschwinden und schüchtern Zeug*innen ein. Sie leugnen all ihre Verbrechen und beschuldigen oft die Opfer für das, was passiert ist. Sie behindern Ermittlungen und versuchen, sich so lange an der Macht zu halten, bis sie gewaltsam zum Rücktritt oder zur Flucht gezwungen werden. Nur gründliche, ehrliche Gerichtsverfahren und gerechte Strafen können die Straflosigkeit der Täter*innen und die Verleugnung des Verbrechens verhindern.


Wie hängt die Geschichte dieser Person mit den Phasen des Völkermordes zusammen?

Die Nachkriegsgeschichte von Mano ist ein gutes Beispiel für die Phase der Verleugnung. Der Junge hat ein schreckliches Trauma erlebt, aber er hatte so viel Angst, darüber zu sprechen, dass er lieber in einem fremden Land unter fremden Menschen bleiben wollte als zu gestehen, wer er wirklich war. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er Deutscher und somit Angehöriger der „Täternation“ war, obwohl er doch selbst Opfer der Nazis gewesen war und nicht einer von ihnen. Außerdem hatte er Angst, wieder einmal für seine Herkunft bestraft zu werden; immerhin war er schon einmal ins KZ deportiert worden, nur weil er Sinto war. Erst zwei Jahre später schöpfte Mano Mut und bat seine Pflegefamilie, in München nach seinen Angehörigen zu suchen. Auch nachdem er nach Deutschland zurückgekehrt war, sprach er jahrelang nicht über sein Schicksal. Nicht zuletzt deswegen, weil die Gesellschaft das Leid der Sinti und Roma in den Konzentrationslagern sowieso gerne ausblendete. Obwohl Sinti und Roma auf genau die gleiche brutale Art und Weise ermordet wurden wie die jüdische Bevölkerung, war ihre Vernichtung – Porajmos – lange Zeit weder in Geschichtsbüchern noch in der kollektiven Erinnerung präsent. Manos Ehefrau Else erkannte, dass ihr Mann unter der Last der ständig verdrängten Erinnerungen leidet. Sie überredete ihn, sich mit Jugendlichen zu treffen und seine Geschichte zu erzählen. Im hohen Alter entschied sich Mano, mit Hilfe der Schriftstellerin Anja Tuckermann seine Erinnerungen aus den Lagern und der Nachkriegszeit in Frankreich zu einem Buch zusammenzufassen. Es trägt den Titel „Mano. Der Junge, der nicht wusste, wo er war“ und ist heute Pflichtlektüre in mehreren Bundesländern. Dadurch lernen immer mehr Jugendliche die Geschichte von Mano und der Vernichtung der Sinti und Roma in den KZs kennen.

Nürnberger Gesetze – eine Reihe von Gesetzen, die im September 1935 vom Reichstag verabschiedet wurden. Dabei handelte es sich um das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre und das Reichsbürgersgesetz. Diese Gesetze verboten Juden und Jüdinnen u. a., „arische“ Bürger*innen zu heiraten oder als Beamte zu arbeiten. Sie lieferten auch die rechtliche Grundlage, auf der den Juden und Jüdinnen weitere Bürgerrechte und -freiheiten entzogen und ihre Vermögen konfisziert werden konnten. 1936 wurden die Gesetze offiziell auch auf Sinti und Roma ausgeweitet.

VERFASSERIN: Katarzyna Ciurapińska