„Der geheime Unterricht umfasste die Klassen eins bis sechs der Gesamtschule. Meine ersten Schüler waren Halina, Władysław und Leszek Budziło. […] Ich unterrichtete auch jüdische Kinder: Anna Lehrhaft, fünfte Klasse, und Henryk Enoch, erste Klasse. Sie wurden beide nach Sosnowiec deportiert und kamen dort ums Leben. […] Ich kann mich nicht an alle Namen erinnern, denn ich hatte insgesamt 37 Schülerinnen und Schüler, aber ich schrieb ihre Namen nirgends auf. Wie ihr wisst, war es ja verboten, polnische Kinder zu unterrichten. Jede Zuwiderhandlung wurde aufs Schwerste bestraft. Die Lehrer, die Kinder, die Eltern – alle konnten dafür in den Tod gehen. Daher hatten alle meine Schüler vorsichtshalber immer irgendeine Arbeit dabei.“

Jadwiga
Marciniak

Schritt 3 - Diskriminierung

„Der geheime Unterricht umfasste die Klassen eins bis sechs der Gesamtschule. Meine ersten Schüler waren Halina, Władysław und Leszek Budziło. […] Ich unterrichtete auch jüdische Kinder: Anna Lehrhaft, fünfte Klasse, und Henryk Enoch, erste Klasse. Sie wurden beide nach Sosnowiec deportiert und kamen dort ums Leben. […] Ich kann mich nicht an alle Namen erinnern, denn ich hatte insgesamt 37 Schülerinnen und Schüler, aber ich schrieb ihre Namen nirgends auf. Wie ihr wisst, war es ja verboten, polnische Kinder zu unterrichten. Jede Zuwiderhandlung wurde aufs Schwerste bestraft. Die Lehrer, die Kinder, die Eltern – alle konnten dafür in den Tod gehen. Daher hatten alle meine Schüler vorsichtshalber immer irgendeine Arbeit dabei.“

Biografie

Jadwiga Marciniak wurde 1898 in Oświęcim geboren. Sie besuchte die Volksschulen in Oświęcim und Wadowice. Später legte sie ihre Abiturprüfung extern im Männer-Lehrerseminar in Kęty ab. Vor dem Krieg war sie Lehrerin in der Hedwig-von-Anjou-Schule in Oświęcim. Zur Zeit der deutschen Besatzung veranstaltete sie geheimen, illegalen Unterricht, den auch jüdische Kinder besuchten.

Während der gesamten Besatzungszeit unterrichtete Jadwiga insgesamt 37 Kinder. Der Unterricht fand in kleinen Gruppen und immer an unterschiedlichen Orten statt, unter Anwendung von ausgefallenen Geheimhaltungsmethoden. Auch Stefan Matlak, Jadwigas Mann, unterrichtete im Geheimen. Er wurde von den Deutschen bei einer Razzia festgenommen und u. a. nach Dachau und später nach Mauthausen deportiert, wo er 1941 ermordet wurde. Das hielt Jadwiga aber nicht davon ab, die Kinder weiter zu unterrichten.

Nach dem Krieg kehrte Jadwiga Marciniak zurück an ihre alte Schule. Zu ihren Schülerinnen zählte u. a. Elinka Kupperman, die Tochter von Salomon und Regina geborene Gruenbaum – einem jüdischen Ehepaar aus Oświęcim, das den Holocaust überlebt hatte. Elinka war eins der wenigen jüdischen Kinder, die nach dem Krieg in Oświęcim geboren wurden.

Als die Kuppermans 1962 nach Israel auswanderten, hielt Jadwiga weiterhin den Kontakt zu ihrer ehemaligen Schülerin aufrecht. Sie schickte ihr u. a. jedes Jahr eine Geburtstagskarte.
Jadwiga Marciniak starb 1981.

Jadwiga Marciniak umgeben von ehemaligen Studenten_ Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim
Jadwiga Marciniak umgeben von ehemaligen Studenten
Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim
Jadwiga Marciniak, 1970er Jahre, Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim
Jadwiga Marciniak, 1970er Jahre,
Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim
Deportation von Juden aus der Stadt Auschwitz nach Będzin, Chrzanów und Sosnowiec im Jahr 1941_ Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim
Deportation von Juden aus der Stadt Auschwitz nach Będzin, Chrzanów und Sosnowiec im Jahr 1941
Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim
Das Notizbuch von Henryk Enoch, einem jüdischen Schüler von Jadwiga Marciniak. Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oswiecim Ausstellung
Foto: Die „Judengasse“, Oświęcim 1939. Aus den Sammlungen des Auschwitz Jewish Center.

Heute ist das Jüdische Zentrum in Oświęcim für die Erinnerung an die jüdische Geschichte der Stadt verantwortlich. jpg Foto aus der Sammlung des Jüdischen Zentrums in Oświęcim

Der Ort Oświęcim wird sowohl in Polen, als auch in der ganzen Welt vorwiegend mit Auschwitz in Verbindung gebracht – dem nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, in dem 1,1 Mio. Menschen ums Leben kamen, darunter 1 Million Juden und Jüdinnen.

Die Geschichte der Stadt reicht aber in Wirklichkeit bis ins Mittelalter zurück. Schon seit dem 16. Jh. siedelten sich hier jüdische Gemeinden an, die in der Zeit der religiösen Verfolgungen in Westeuropa Zuflucht in Polen suchten. Die jüdischen Einwohner*innen nannten die Stadt auf Jiddisch „Oschpitzin“, was so viel wie „Gäste“ bedeutete.

1939 betete mehr als die Hälfte der Einwohner*innen von Oświęcim in Synagogen. Jüdische Mitbürger saßen im Stadtrat, die ortsansässige Brennerei von Jakub Haberfeld exportierte ihre Erzeugnisse nach ganz Europa und der jüdische Sportklub Kadima (hebr. „vorwärts“) Oświęcim spielte in der regionalen Fußballliga.

Als der Krieg ausbrach, wurde die Stadt von den Deutschen besetzt und ins Dritte Reich eingegliedert. Sowohl die jüdischen, als auch die katholischen Einwohner*innen von Oświęcim mussten eine Welle von Terror über sich ergehen lassen. Juden und Jüdinnen durften nicht mehr in die Synagoge gehen, ihre Vermögen wurden konfisziert und sie selbst zu Zwangsarbeiten geschickt. 1941 wurden alle jüdischen Einwohner*innen von Oświęcim in die nahegelegenen Städte Będzin, Chrzanów und Sosnowiec zwangsumgesiedelt. Von dort aus wurden die meisten später in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie ermordet wurden.

Heute sorgt das Auschwitz Jewish Center dafür, dass das Gedenken an die jüdische Gemeinde der Stadt erhalten wird.

Diskriminierung

Von Diskriminierung sprechen wir, wenn ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen in einer bestimmten Situation schlechter als andere behandelt wird oder aufgrund einer oder mehrerer Eigenschaften (z. B. Geschlecht, Hautfarbe, Ethnie, Nationalität, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Orientierung oder andere) gesellschaftlich ausgeschlossen wird.
Die Ideologie der dominanten Gruppe baut dabei meistens auf bestehenden Vorurteilen, Klischees und Ängsten auf. Dadurch gewinnt sie Akzeptanz in der Gesellschaft und kann sich an der Macht halten.
Auch der Diskriminierung kann entgegengewirkt werden. Dazu müssen alle sozialen Gruppen die gleichen Rechte haben und diese Rechte auch vor Gericht geltend machen dürfen. Außerdem sollte Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, Ethnie usw. gesetzlich verboten werden.


Wie hängt die Geschichte von Jadwiga Marciniak mit den Phasen des Völkermordes von G. Stanton zusammen?

Als Lehrerin widersetzte sich Jadwiga Marciniak dem Ausschluss von Schüler*innen polnischer Herkunft aus dem Bildungssystem. Seit Oświęcim ins Dritte Reich eingegliedert und in Auschwitz umbenannt wurde, durften Kinder, die keine deutsche Staatsbürgerschaft hatten, nicht zur Schule gehen. Das war eine Folge der nationalsozialistischen Rassentheorie: die Slaw*innen (also auch Pol*innen) sollten zu primitiven Arbeitskräften ohne intellektuelle Eliten reduziert werden, die Juden und Jüdinnen wiederum hatten gar kein Recht, zu leben. Die mutige Lehrerin erkannte schnell, dass es sich dabei um Diskriminierung handelte, und widersetzte sich dieser Regelung, obwohl sie dadurch sich selbst und ihre Familie in Gefahr brachte.

VERFASSER: Maciek Zabierowski, Auschwitz Jewish Center